
"Spielzeugfreier Kindergarten" in Bichwil
Ein Kindergarten ohne Spielzeug? Für die meisten von uns wahrscheinlich unvorstellbar. Mit dem Kindergarten verbinden wir doch alle die Wichtigkeit des Spielens und haben aus der eigenen «Chindizeit» noch die Bäbi- oder die Bauecke in Erinnerung.
Doch ein Kindergarten kann auch spielzeugfrei sein. Diese Idee, die anfangs der neunziger Jahre in Deutschland entstanden ist, wurde von Januar bis April im Kindergarten Kirchstrasse in Bichwil umgesetzt.
Kindern bleibt heute kaum Zeit und Raum, in denen sie völlig frei in ihrer Entwicklung sind, ohne dass von uns Erwachsenen in ihre Welt eingegriffen wird. Vieles wird von uns – gerade auch in der Schule – vorgegeben und strukturiert. Ziel des spielzeugfreien Kindergartens ist es darum, dass Kinder eigene Entscheidungen treffen können, Probleme und Konflikte selber zu lösen versuchen, kreativ denken und miteinander vertieft kommunizieren. Sie gestalten Beziehungen selber, lernen mit ihren Gefühlen umzugehen und sich in andere hineinzufühlen.
Gemeinsam mit den Kindern hat die Kindergärtnerin Selina Paoletto alle strukturierten Spielmaterialen zu Beginn der drei Projektmonate ausgeräumt: Lego, Bücher, Spiele, Puppen, Papier, Scheren und Stifte – all dies ging für eine Weile in die «Ferien». Was im Kindergarten bleiben durfte, waren Kisten, Schachteln, Stühle, Becher, Klebeband, Wäscheklammern, Matratzen, Tücher usw.
Nun entschieden die Kinder drei Monate lang selber, was und wie sie spielen wollten. Gemeinsam wurden für diesen doch ungewöhnlichen Kindergartenalltag Regeln festgelegt, wie das Zusammenleben trotz der fehlenden Strukturen gelingen kann. Alle geführten Aktivitäten wurden gestrichen, es gab z.B. auch keine gemeinsame Znünizeit mehr. Jedes Kind durfte dann seinen Znüni essen, wenn es Hunger hatte. Die einzige gemeinsame Aktivität war eine Schlussrunde, die nach jedem Morgen durchgeführt wurde. So lernten die Kinder, ihr Tun zu reflektieren und ihre Gefühle und Meinungen auszudrücken.
Die Rolle der Lehrperson ändert sich im spielzeugfreien Kindergarten erheblich. War es sie, die vorher den Tag durchgetaktet und geplant hat, so wurde sie nun zur Beobachtenden, die nur noch für die Sicherheit und das Wohlbefinden der Kinder zuständig ist. Sie greift möglichst nicht in das Tun der Kinder ein und lässt ihnen so den grösstmöglichsten Raum, um kreativ zu werden.
Und wie sah denn der Kindergartenalltag nun aus? Aus dem verbliebenen Material entstanden die verrücktesten Spielumgebungen: Höhlen, ein Kino, ein Rennstall oder ein Schiff, Telefonanlagen oder Sprungtürme – der Fantasie der Kinder waren wortwörtlich keine Grenzen gesetzt. Es wurde sortiert nach Farben, gezählt, Purzelbäume geübt und Kuchen aus farbigen Tüchern gebacken. Die Kinder übten sich in der Sprache, mussten sich viel austauschen und lösten Konflikte selber auf dem Friedensteppich. Sie lernten einander besser kennen und konnten drei Monate lang ihre eigenen Ideen verwirklichen. Viele Kinder machten in dieser Zeit erhebliche Entwicklungsschritte.
Nun ist sie vorbei, die spielzeugfreie Zeit. Die Spielsachen sind wieder aus den Ferien zurückgekommen und die positiven Auswirkungen des Projekts sind nachhaltig spürbar.
Es wird kreativer, offener und selbstorganisierter gespielt und gelernt.
Die spielzeugfreie Zeit werden alle nicht so schnell vergessen, sie hat einen tiefen Eindruck hinterlassen!